Die Evangelische Kirchengemeinde Witzenhausen sieht sich aufgrund des biblischen Schöpfungsauftrags (Gen 2,15) nach wie vor den Zielen des weltweiten Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung verpflichtet, wie sie z.B. in den „Affirmationen zu Gerechtigkeit, Frieden und der Bewahrung der Schöpfung“ auf der Ökumenischen Weltversammlung in Seoul 1990 (Affirmation VII und VIII) oder in den 12 Punkten der „Charta Oecumenica der Europäischen Kirchen von 2001 („9.Die Schöpfung bewahren“) festgehalten ist.
Vor diesem Hintergrund teilt sie die Bedenken, die vom Bundesbündnis Bodenschutz, anderen Bürgerinitiativen, Umweltschutzorganisationen und anderen gegen das geplante Sondergebiet Logistik aufgeführt werden. Insbesondere die irreversible Versiegelung des wertvollen Ackerbodens (vgl. dazu auch die EKD- Erklärung zum Erntedank 2016 „Boden schützen – Ernährung sichern“) und der damit verbundene Verlust als Wasser- und CO2-Speicher scheinen uns gerade in Zeiten des Klimawandels unverständlich. Die für das Logistikgebiet vorgesehenen Flächen brachten z.B. auch im Trockenjahr 2018 wegen ihrer Vorzüglichkeit (90 Bodenpunkte und mehr) deutlich bessere Erträge als weniger gute Standorte. Und wir stellen die Frage, ob ausreichend geprüft wurde, ob im Werra-Meißner-Kreis bereits erschlossene und sogar versiegelte, nicht genutzte Flächen, als Alternative zur Neuversiegelung zur Verfügung stehen.
Kritisch sehen wir auch auf erwartbare hohe Belastungen verschiedenster Art für die direkten Anwohner (Lärm, Abgase, abnehmende Lebensqualität etc.) und die ebenfalls sehr hohe Belastung der Bundesstraßen, nicht nur direkt zur Anschlussstelle Friedland, sondern über den Witzenhäuser Kreisel auch in Richtung Bad Hersfeld und Hedemünden.
Wir sind uns bewusst, dass den ökologischen Bedenken einerseits arbeitsmarktpolitische Erwägungen andererseits gegenüberstehen: Arbeitsplätze bleiben wichtig für unsere Region! Allerdings wird der Effekt für die Firmen vor Ort bei einer vorgeschriebenen europaweiten Ausschreibung unterschiedlich eingeschätzt. Der Werra-Meißner-Kreis setzt bisher erfolgreich auf die Stärke seiner kleinen und mittelständischen Unternehmen, und präsentiert sich als Tourismus-Region in einer wunderschönen Landschaft. Unter der Dachmarke „Ökomodellregion Nordhessen“ hat sich das Bewusstsein für regionale Waren und kurze Wege zwischen Produzent und Verbraucher im Landkreis gut entwickelt. Initiativen wie „Tu´s hier!“ oder das Witzenhäuser Attribut „Fair-Trade-Town“ gewinnen stetig an Akzeptanz und zeugen von dem beschriebenen Bewusstseinswandel. Gleichwohl müssen wir uns auch selbst eingestehen, dass unser Lebensstil zu oft noch jene logistischen Strukturen voraussetzt, die unsere Umwelt heute gefährden oder zerstören. Im persönlichen Bereich eines jeden sind Umdenken und neue Schritte unbedingt nötig – nicht nur punktuell.
Wir sind uns bewusst, dass sich die verantwortlichen kommunalen Entscheidungsgremien an Beschlüsse und Vereinbarungen halten, die schon zu einem früheren Zeitpunkt in Abwägung der unterschiedlichen Argumente getroffen wurden. Demokratische Strukturen und Entscheidungen, Rechtssicherheit und Verlässlichkeit sind ebenfalls hohe Güter, die mit Blick auf die Erhaltung eines kostbaren sozialen Friedens zu bewahren und gerade im aktuellen gesellschaftlichen Wandel auch von kirchlicher Seite unbedingt zu unterstützen und zu stärken sind. Dazu gehört auch eine Diskussionskultur, in der unterschiedliche Positionen sachlich, fair und in gegenseitigem Respekt ausgetragen werden können.
Gleichwohl sind frühere Entscheidungen in einer gewandelten Situation „nicht für die Ewigkeit“ und unter neuen Gesichtspunkten auch zu überprüfen. Wir geben zu bedenken, dass bei dem damaligen Beschluss, das Sondergebiet Logistik auszuweisen, das Klimaproblem noch nicht in seiner nun bekannten Dimension auf der Agenda erkannt war. Es sind gerade junge Menschen, die diese Umdenken derzeit lautstark einfordern und zurecht die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen aufhalten wollen. Ihr Aufschrei verhallt leider weitgehend ungehört. Da auf Grund der Klimaproblematik bis 2050 (das sind nur noch 30 Jahre) ein vollkommener Verzicht auf jegliche fossile Kraftstoffe erreicht sein muss (Europäische Kommission, 2018) und schon vorher deutliche Schritte Richtung Reduktion nötig sein werden, um das Klima- und Flächenschutzziel 2030 zu erreichen (Koalitionsvertrag GroKo, 2019), erscheint die Sinnhaftigkeit eines Logistikgebietes auf LKW-Basis sehr zweifelhaft. Wir begrüßen die Revision der damaligen Beschlüsse, das Bemühen um eine sachliche Diskussion und um Entscheidungen, die der Schöpfung und den Geschöpfen nachhaltig zugutekommen – auch künftigen Generationen.
April 2019, Der Kirchenvorstand der Ev. Kirchengemeinde Witzenhausen